06/05/2022 von Susanne Schwer und Nelli Pavlenko
Hilfsbereitschaft aller ist groß
ST. BLASIEN. Erst die Pandemie, jetzt der Krieg. An den Schulen bringen die Ereignisse in der Ukraine neue Belastungen für Lehrkräfte und Schüler mit sich, erst recht für diejenigen, die Kriegsgeschehen und Flucht selbst erlebt haben. Rund 20 ukrainische Schüler werden derzeit an der Fürstabt-Gerbert-Schule unterrichtet. Schulleiterin Susanne Schwer und Schulsozialarbeiterin Nelli Pavlenko begegnen der angespannten Situation der Kindermit gut organisierten Angeboten.
Die Hilfsbereitschaft der Lehrkräfte, Mitschüler und Eltern sei sehr groß, berichten sie. Immer wieder ist der Krieg in der Ukraine auch Thema in den Unterrichtsstunden. Da wird zum Beispiel erklärt, warum mit Blick auf die Energieversorgung ein Land wie Deutschland von anderen Ländern abhängig ist,wie der Krieg in der Ukraine eine Nahrungsmittelknappheit zur Folge haben könnte oder warum Gefahr droht, dass die Europäer den Krieg möglicherweise mit einem Teil ihres Wohlstands werden bezahlenmüssen. In den Klassenlehrerstunden werden persönliche Themen besprochen, die die Schüler im Zusammenhang mit dem Krieg beschäftigen. Ein Angstthema sei der drohende Einsatz vonAtom- oder chemischen Waffen. „Davon erfahren die Kinder im Fernsehen oder in den sozialen Medien. Das muss aufgefangen werden. Überhaupt sind mit dem Krieg in der Ukraine viele Fragen berührt, die den bisherigen Alltag der Kinder über Bord werfen“, sagt Susanne Schwer. Es sei jetzt wichtig, den Kindern ein großes Stück Sicherheit und Freude zu vermitteln. „Wenn sich die Kinder wohlfühlen, ist das jetzt erst mal wichtiger als schulische Leistungen.“ In diesemSinne sind derzeit auch die Angebote des Sportvereins St. Blasien für die ukrainischen Kinder kostenlos.
Im Unterricht steht für die ukrainischen Schülerinnen und Schüler das Erlernen der deutschen Sprache in den sogenannten „Vorbereitungsklassen der allgemein bildenden Schulen“ (VKL-Klassen) imVordergrund. Einige Lehrerinnen der FG-Schule haben inzwischen ihr Deputat aufgestockt, um die bisher einzige VKL-Lehrerin der Schule zu unterstützen. Denn besuchten vor dem Krieg in der Ukraine noch 23 fremdsprachige Kinder die VKL-Klasse, sind es mit den ukrainischen Kindern jetzt 43, Tendenz steigend. Die ukrainischen Schüler finden über einen Link auch kostenlos Zugang zu ukrainischen Schulbüchern für alle Klassenstufen und Fächer als PDF-Downloads. Teilweise können sie auch eine ukrainische Lernplattform nutzen, wo sie an allen Fächern in ihrer Muttersprache arbeiten können.Während derUnterrichtszeit nutzen die ukrainischen Schüler einen Laptop, den sie von der FG-Schule erhalten haben.
Ein riesiger Erfolg sei der Spendenaufruf gewesen, mit dem die Schule um Unterrichtsmaterialien und Unterrichtszubehör gebeten hatte, berichtet Susanne Schwer. Eingegangen seien unter anderem Hefte, Stifte, Scheren, Schulranzen in großer Zahl, dazu Geldspenden, die jetzt in Lehrmaterialien für den Deutschunterricht investiert werden sollen.
Ein Beitrag der SMV waren Willkommenstaschen mit kleinen Übersetzungsbüchern zum Schulalltag, auch dem Raumplan des Schulgebäudes und die jeweiligen Stundenpläne in russischer Sprache (wir berichteten). Trotz der Unterstützung leben die ukrainischen Kinder in einer extremen inneren und äußeren Ausnahmesituation. Die Tür von Nelli Pavlenkos Büro steht während ihrerDienstzeit immer offen. Jeder, der sich aussprechen mag, kann zu ihr. Dabei ist es sehr hilfreich, dass sie Russisch spricht, wo das Sprachproblem doch sonst in vielen Bereichen eine erhebliche Hürde ist. Auch deutsche Kinder suchen Pavlenkos Hilfe auf. Die psychische Belastung der Kinder habe bereits während der langen Phasen der pandemiebedingten Sonderunterrichtsformen zugenommen, etwa durch den Fernunterricht, der den normalen Schulalltag der Kinder und Jugendlichen über den Haufen geworfen hatte, berichtet sie. „Depressive Phasen bei Kindern erlebe ich jetzt oft, auch Prüfungsangst, überhaupt Angst allgemein“, sagt sie. Schulleiterin Schwer führt in ihremBüro ebenfalls persönliche Gespräche mit Schülern und Eltern. Für Gespräche mit ukrainischen Eltern hat sie manchmal einen Dolmetscher zur Verfügung, ansonsten tut es auch eine Übersetzungssoftware. Und sehr hilfreich im Schulalltag sind die zweisprachigen russlandstämmigen Schüler der FG-Schule, die Patenschaften für ihre ukrainischen Schulkameraden übernehmen.
Dafür hatte Susanne Schwer den jungen Dolmetschern in ihremOsterbrief auch ausdrücklich gedankt. Neue ukrainische Schülerinnen und Schülerwerden in Klassen eingeteilt, in denen es russischsprachige Kinder gibt oder in denen Mitschüler sind, die die Kinder bereits kennengelernt haben. Probleme oder Feindseligkeiten zwischen russischstämmigen und ukrainischen Kindern habe sie an ihrer Schule bis jetzt noch nicht erlebt, so Schwer. Derzeit versucht die Schulleiterin auch, geflüchtete ukrainische Lehrerinnen für den Unterricht an ihrer Schule zu gewinnen. Mit drei potenziellen Lehrerinnen habe sie bereits gesprochen, berichtet Susanne Schwer. Gescheitert seien die Einstellungen aber an der behördlichen Vorgabe, dass ukrainische Lehrkräfte grundlegende Deutschkenntnisse vorweisen müssen, um unterrichten zu dürfen. Sie bemühe sich aber weiterhin um die Verstärkung des Kollegiums durch ukrainische Kolleginnen.