Unser Namensgeber - Fürstabt Martin Gerbert
von Thomas Mutter
Am 21. Oktober 1972 wird das neue Schulzentrum mit Haupt- und Realschule als Nachbarschaftsschule eingeweiht und der Bestimmung als Bildungsstätte für die jungen Menschen unserer engeren Region übergeben. In jenen Jahren fordert die veränderte Bildungslandschaft geradezu den Aufbau einer Realschule, der Zustand und die Raumnot des Gebäudes der alten Volks- und Hauptschule an der Luisenstraße (heute Senioren- und Pflegeheim) bestärkte den Ruf nach einem Neubau. Der seinerzeitige Rektor Willi Ziegelmeier (am 20. Januar 2017 verstorben) war eine der treibenden Kräfte für das um die Realschule ergänzte Neubauprojekt. Seither gehört die Fürstabt-Gerbert-Schule zu den anerkannt herausragenden Bildungsträgern der Stadt und des Gemeindeverwaltungsverbandes St. Blasien.
Die Schule hat also zur Eröffnung den Namen „Fürstabt-Gerbert-Schule“ erhalten. Wer war dieser Mann mit dem Respekt gebietenden Titel Fürstabt? Er wird am 11. August 1720 in Horb am Neckar als Sohn einer Familie Gerbert geboren – der Nachname ist Hinweis auf den Beruf des Vaters und der Vorfahren als Ledergerber. Bei der Taufe erhält das Kind die drei Vornamen Franz, Dominik und Bernhard.
Dieser mit drei Vornamen ausgestattete Jüngling Gerbert kommt als Zwölfjähriger an die Klosterschule der damals weithin bekannten, berühmten und mächtigen Benediktinerabtei St. Blasien. Im Jahr 1737 entschließt er sich zum Eintritt in den Orden der Benediktiner und das Kloster St. Blasien. Zu diesem Anlass erhält er den Ordensnamen Martin zum Zeichen dafür, dass er sein bisheriges „weltliches“ Leben hinter sich lässt und ein neues, kirchliches beginnt.
Er wird diesem Kloster bis zu seinem Tod am 13. Mai 1793 treu bleiben, ja er wird sogar nach verschiedenen wissenschaftlichen Ämtern in der Gemeinschaft der St. Blasier Benediktiner am 15. Oktober 1764 zum Abt, also zum „Chef“ der örtlichen Klostergemeinde gewählt. Um ganz genau zu sein: Er ist nicht „nur“ Abt, sondern trägt den erhabenen Titel Fürstabt. Unter den 48 Äbten der tausendjährigen Klosterherrschaft in St. Blasien gilt er unstrittig als der genialste, schöpferischste und vielseitigste Klostervorsteher.
Es müssten jetzt Seiten gefüllt werden, um die umfangreichen Leistungen dieses Fürstabts als Kirchengelehrter, Schriftsteller, Bauherr, Wissenschaftler, Kirchenmusiker und Herrscher darzustellen. Darauf muss verzichtet werden. Der Hinweis auf den Monumentalbau des Blasiusdoms in St. Blasien – größte Kuppel nördlich der Alpen – mag genügen. Diese eindrucksvolle und unvergessliche Kirche im Herzen der Stadt lässt er ab 1771 errichten nach dem vorausgegangenen (1768) verheerenden Kloster- und Kirchenbrand. Die Ablösung der zerstörten Barockkirche durch eine Kuppelkirche nach dem Vorbild des römischen Pantheons war nichts anderes als eine architektonische und kirchliche Revolution.
Die nur angedeuteten Glanzleistungen des Fürstabts hätten aber wohl doch nicht zur Namensanleihe für unsere Schule ausgereicht, wenn er nicht als moderner Lehrer und Erzieher erscheinen würde. Für die Klosterschüler der Abtei um den Dom herum entwirft er beispielsweise einen Lehrplan mit dem Ziel, mechanisches und unüberlegtes Auswendiglernen zu verbannen. Der Stoff sollte verstanden und im diskutierenden Miteinander vermittelt werden. Die Lehrer sollten zudem die Schüler mit etwas Nützlichem beschäftigen. Wir schreiben nicht das Jahr 2017, sondern hören von Anweisungen vor rund 250 Jahren! Für die Landschulen erlässt der Herr des Klosters und des „Benediktinerstaates“ 1771 eine Schulordnung, die die Gemeinden verpflichtet, tüchtige und fähige Lehrer anzustellen. Fürstabt Martin Gerbert geht mit nicht ausgebildeten und sogenannten Lehrern (weil sie die Kinder nur beaufsichtigt haben) hart ins Gericht. Der Namensgeber unserer Schule legt übrigens die Schulzeit vom 6. bis zum 14. Lebensjahr mit vier Klassen von je zwei Jahren fest. Die Wahl seines Namens für unsere Schule verpflichtet zur Orientierung an seiner Vorgabe „tüchtiger und fähiger“ Lehrer.
Unser Namensgeber aus Kindersicht
von Ferdinand Schwer
Der hohe Besuch
Es war der 11. August 2020 - ein schöner, sonniger Tag in den Sommerferien. Unser Hausmeister Herr Iorillo mähte mit seinem Rasenmähtraktor die Wiese vor unserer Schule. Er wollte gerade zur letzten Bahn ansetzen, als ein Heißluftballon immer näher kam und genau vor seinem Traktor landete. Herr Iorillo erschrak so sehr, dass er fast von seinem Traktor fiel. Da er beim Mähen immer Ohrenschützer trägt, hatte er nichts gehört und war nun total aus dem Häuschen.
Er sprang sofort vom Traktor runter, holte sein Handy aus der Tasche und wollte den Notruf betätigen. Er war der festen Überzeugung, dass der Ballon abgestürzt war und sicher Verletzte im Korb waren. Herr Iorillo begann zu wählen, als plötzlich ein alter, ganz komisch gekleideter Mann mit einer furchtbar langen und spitzen Nase aus dem Ballon kletterte. Der Hausmeister ging einige Schritte zurück und er hatte etwas Angst vor dieser komischen Gestalt.
Der Mann schaute Herrn Iorillo genauso erschrocken an, stand auf und zog seinen langen schwarzen Mantel zurecht. Um den Hals trug er eine schwere, silberen Kette mit einem großen Kreuz dran und auf seinem Kopf saß verrrutscht eine schwarze Mütze. Herr Iorillo rieb sich die Augen und konnte nicht glauben, was da gerade passierte. „Fastnacht ist doch schon lange vorbei…“, dachte er bei sich.
Langsam näherte sich der Hausmeister diesem komischen Mann und fragte mit lauter Stimme:
„Hey, wer sind Sie und warum landen Sie hier mitten auf unserem Pausenhof?“
Der fremde Mann antwortete mit ebenso lauter Stimme:
„Ich weiß zwar nicht, was ein Pausenhof ist, aber ich bin der Chef von St. Blasien! Kennen Sie mich etwa nicht?“
Herr Iorillo begann herzzerreißend zu lachen.
„Sie, der Chef von St. Blasien??? Hahaha. Unser Bürgermeister sieht aber ganz anders aus als Sie. Vereppeln kann ich mich selber. Also raus mit der Sprache: WER SIND SIE?“, fragte Herr Iorillo erneut.
Der wirklich sehr komisch aussehende Mann stand nun etwas verzweifelt auf der Wiese vor dem großen, weiß-grauen Haus, das so ganz anders aussah als die Häuser, die der Mann kennt.
Er merkte, dass der Mann, der an seinen Ohren einen ganz komischen Hut trug, wirklich nicht wusste, wer er war.
„Dann stelle ich mich Ihnen vor – Sie scheinen wohl wirklich nicht zu wissen, wer ich bin. Mein Name ist Fürstabt Martin Gerbert. Ich feiere heute meinen 300. Geburtstag und habe darum beschlossen, mit einem Heißluftballon eine Ausflugsfahrt über mein St. Blasien und die Region zu unternehmen. Irgendwie habe ich bei der Lenkung einen Fehler gemacht und musste hier auf der Wiese notlanden, obwohl mir dieses furchtbare Ungeheuer, auf dem Sie gesessen sind, ganz schön Angst eingejagt hat.“
Der Hausmeister stand sprachlos und mit offenem Mund vor ihm. Er kratzte sich am Kopf und konnte nicht glauben, was er da hörte. Immer wieder drehte er sich zum Schulgebäude um, las die Buchstaben, die darauf angebracht waren und schaute wieder den Mann an. Hatte er richtig gehört? Dieser Mann soll Fürstabt Martin Gerbert sein? Der Mann, nach dem unsere Schule benannt ist?
„SIE sind Fürstabt Martin Gerbert? Sind Sie sich sicher oder haben Sie sich durch den Sturz eine Kopfverletzung zugefügt?“, fragte Herr Iorillo total durcheinander.
„Meinen Sie wirklich, dass ich nicht weiß, wer ich bin? Schauen Sie doch mal in die Stadt herunter. Da sehen Sie genau auf meine Architektur, meine Arbeitsstelle und auf mein Wohnhaus.“
Michael Iorillo blickt in die Stadt runter und sah ganz klar und deutlich auf den Dom.
„Also wenn Sie meinen, dass Sie der Chef des Domes waren, dann bin ich der Kaiser von China. Hahaha.“
Nun wurde Martin Gerbert etwas zornig, schaute den jungen Mann in seiner komischen Kleidung böse an und sagte mit der Stimme eines richtig strengen Lehrers zu ihm:
„Junger Bursche, Sie sind wohl nicht sehr schlau und wissen nicht viel über die Geschichte von St. Blasien. Nun holen Sie mir mal einen Krug mit frischem Bier und dann erzähle ich Ihnen, wer ich genau bin und warum man mich kennen sollte.“
Dem Hausmeister wurde ganz mulmig bei diesem Ton und er sagte schüchtern: „Sie sind vielleicht ein bekannter Star, aber Sie sollten wissen, dass Sie sich hier auf dem Schulgelände befinden und es dort strengstens verboten ist, Alkohol zu trinken!“
„Alkoholverbot? Wo gibt es denn das? Zu meiner Zeit war Bier ein ganz normales Getränk und es wurde überall Bier getrunken. Besonders mein Bier. Aber gut. Gibt es dann wenigstens Wasser?“, fragte Gerbert.
„Sein Bier?“, Herr Iorillo schüttelte den Kopf. Er dachte bei sich, dass der alte Mann echt einen Knall hat und in ein Krankenhaus gehört. Aber gut – Wasser soll er bekommen.
„Ich gehe schnell in die Schule und hole Ihnen im Rektorat ein Glas Wasser. Warten Sie hier!“
Martin Gerbert schaute dem Hausmeister kopfschüttelnd nach und wunderte sich über diesen seltsamen Menschen. Er sah eine Bank und nahm darauf Platz. Er genoss den Blick auf seinen Dom sehr und dachte an die gute alte Zeit zurück. Ja, vor 300 Jahren war die Welt noch eine andere.
Herr Iorillo kam mit einem Glas Wasser zurück und gab es dem älteren Herrn.
Martin Gerbert drehte sich um und nahm dankend das Glas Wasser entgegen. Dabei entdeckte er, dass auf dem Schulgebäude sein Name stand:
FÜRSTABT-GERBERT-SCHULE
Er lächelte und sagte glücklich: „Ach wie schön, dass ich zu meinem 300. Geburtstag eine Schule geschenkt bekomme. Wirklich sehr schön.“
Der Hausmeister begann zu lachen: „Sie sind ja echt ein lustiges Kerlchen! Die Schule gibt es schon lange und ist sicher nicht Ihr Geburtstagsgeschenk.“
Herr Iorillo kratzte sich am Kopf und sagte murmelnd: „Aber ich muss zugeben, dass ich mich schon immer gefragt habe, warum die Schule diesen Namen trägt.“
Martin Gerbert merkte erneut, dass der Hausmeister wohl wirklich nicht allzu viel über die Geschichte von St. Blasien weiß.
„Setzen Sie sich zu mir auf die Bank – ich werde es Ihnen erzählen“, sagte er zu Herrn Iorillo. Dieser setzte sich zu ihm auf die Bank, beide schauten auf den Dom und das Städtlein und der Fürstabt begann zu erzählen:
„Junger Freund, geboren bin ich am 11. August 1720 in Horb am Neckar – also heute vor 300 Jahren. Mein Vater war Kaufmann und taufte mich auf den Namen Franciscus Domenicus Bernardus Gerbert. In Horb ging ich dann zur Schule und lernte Rechnen, Schreiben, Religion und Musik. Danach besuchte ich in Freiburg und Klingnau eine Lateinschule, die von Jesuiten geleitet wurden. Kurz darauf kam ich dann in die Klosterschule nach St. Blasien. Da gefiel es mir so gut, dass ich dort mit 16 Jahren in das Kloster eintrat.
Wissen Sie, was ein Orden ist?“, fragte er den zuhörenden Hausmeister.
Herr Iorillo antwortet ihm, dass er doch nicht doof ist und weiß, dass ein Orden eine Klostergemeinschaft ist, in der Mönche oder Nonnen nach den Regeln der Religion zusammenleben.
Gerbert erzählte weiter: „Nach dem Eintritt in das Kloster hieß ich Martin. Da ich nicht ganz dumm bin, wurde ich bald Professor für Theologie und Philosophie – das ist eine Wissenschaft, mit der man versucht, die Welt zu erklären.
Als Professor kümmerte ich mich um begabte Schüler und förderte diese.
Auch unternahm ich Reisen nach Italien und Frankreich. In Deutschland war ich ebenso viel unterwegs. Dort lernte ich immer dazu und traf auf viele bekannte Personen, so dass ich auch viele Bücher schrieb – manchmal auch zusammen mit Freunden. Besonders interessierte mich der Kirchengesang im Mittelalter und ich wurde auf diesem Gebiet ein richtiger Spezialist.
Ich hatte also ganz viele Berufe. Ich war Theologe und Wissenschaftler, Diplomat und Bauherr, Musikhistoriker und Komponist.“
Der Hausmeister hörte dem alten Mann aufmerksam zu und fragte ihn: „Bauherr? Sie sind also wirklich ein Architekt? Was haben Sie denn so alles gebaut?“
„Mit 45 Jahren, im Jahre 1764, wurde ich zum Fürstabt des Klosters St. Blasien gewählt. Ich war also Fürst des Landes und Abt des Klosters. Ich war ein sehr erfolgreicher Chef. Zuerst ließ ich den Bau des Schlosses Bürgeln im Markgräflerland fertigstellen. Leider passierte dann ein furchtbares Unglück. Es kam 1768 zu einem Großbrand, bei welchem die Abtei und die Kirche von St. Blasien zerstört wurden. Ich habe es aber geschafft, dass nach bereits 15 Monaten das neue Kloster wieder aufgebaut war und nach 15 Jahren der Dom, auf den wir gerade schauen, fertiggestellt war.“
„Respekt, Respekt, faul waren Sie ja nicht gerade!“, gab der Hausmeister zur Antwort und staunte.
„Nein, und das war ja noch lange nicht alles. Als Fürst kümmerte ich mich auch um mein Land. Daher gründete ich 1765 in Bonndorf eine Waisenkasse. Auf meinem Flug hierher habe ich vorhin gesehen, dass man dies heute wohl „Sparkasse“ nennt.“
„Ja, stimmt. Und vor kurzem habe ich in der Zeitung gelesen, dass die Sparkasse von Bonndorf die zweitälteste Sparkasse Deutschlands ist,“ gab der Hausmeister zur Antwort.
Gerbert freute sich darüber und begann weiter zu erzählen: „Da die Bauern damals sehr viel Schnaps tranken und es ihnen nicht gut tat, kam mir die Idee, eine Bierbrauerei zu gründen. Diese nannte ich „Bierbrauerei auf dem Wald“ und das Bier wurde von den Bauern gerne getrunken. Gibt es diese heute auch noch, Herr Hausmeister?“
Herr Iorillo fragte: „Wo stand denn diese Brauerei?“
„Na, in Grafenhausen. Kennen Sie dort eine Bierbrauerei?“, fragte der alte Mann.
Der Hausmeister haute sich mit der Hand auf den Schenkel und sagte: „Ja, glaubt man es denn? Natürlich kenne ich die. Das ist doch unsere Rothausbrauerei. Ein super Bier machen die! Das trinkt jeder hier. Nun verstehe ich auch, warum Sie vorhin von Ihrem Bier gesprochen haben.
Aber sagen Sie mir mal bitte, warum Sie die Brauerei in Grafenhausen und nicht in St. Blasien gegründet haben?“
„Na ja, das Wasser war reiner in Grafenhausen und es gab dort auch mehr Wald und so auch mehr Holz, um die Braukessel anheizen zu können.“
Herr Iorillo kam eine Idee und er begann zu strahlen.
„Warten Sie bitte ganz kurz, Herr Gerbert. Ich gehe mal schnell in das Zimmer meiner Chefin. Dort steht ein Kühlschrank und ich schaue mal, ob ich da etwas für Sie finde.“
Es ging nicht lange und der Hausmeister kam mit einer Flasche Rothausbier zurück, die er dem Fürstabt in die Hand drückte.
„Bitteschön, Herr Gerbert. Ihr Geburtstagsgeschenk! Nun weiß ich endlich, warum diese Schule nach Ihnen benannt ist. Da können alle Schüler und Lehrer richtig stolz darauf sein, solch einen großartigen Namenspaten zu haben.
Wie ging es denn dann weiter mit Ihnen?“, fragte Herr Iorillo.
„Im Jahre 1793, genau am 13. Mai, durfte ich dann meine müden Augen zumachen und in den Himmel hochfahren. Und heute durfte ich zum ersten Mal wieder zurück nach St. Blasien kommen – allerdings nur für einen kleinen Ausflug. Nun muss ich mich aber beeilen und weiterziehen. Ich möchte noch kurz auf den Bötzberg in St. Blasien. Dort wohnt irgendwo ein Mann namens Thomas Mutter. Er hat vor 6 Jahren einen Preis bekommen, der nach mir benannt wurde. Ich möchte unbedingt von ihm wissen, was das für ein Preis ist und warum gerade er diesen bekommen hat.“
Der Hausmeister half dem alten Fürstabt zurück in den Heißluftballon und winkte ihm lächelnd zum Abschied zu.
„Wenn ich das morgen in der Schule erzähle, was ich heute erlebt habe, glaubt mir das sicher keiner“, sagte Herr Iorillo vor sich hin und bestieg seinen Rasenmähertraktor und setzte seine Arbeit fort.